Brauchen wir eine neue Nationalhymne?

Dietmar Püschels Varianten kamen beim Publikum gut an
Dietmar Püschel gibt Autogramme auf der CD mit seiner deutsch-deutschen Nationalhymne

Eine neue, gemeinsame deutsche Nationalhymne – das hätten sich viele Menschen nach der Wiedervereinigung 1990 vorstellen können. Dietmar Püschel hatte dazu eine originelle Idee, doch keiner wollte sie haben …. Seine spannende Geschichte erzählte er im Gespräch mit Vereinsmitglied Waltraut Tuchen in der Reihe „Hör mal zu“ am Freitagabend im Scharwenka Kulturforum.  Schon 1987 war dem West-Berliner beim Hören der Nationalhymnen der DDR und der BRD (sie wurden im Fernsehen zum Sendeschluss gespielt) aufgefallen, dass man den DDR-Text „Auferstanden aus Ruinen“ von Johannes R. Becher auf beide Melodien, also auch auf die der BRD-Hymne, singen konnte. „Das kann kein Zufall sein“, dachte sich der Neuköllner Werbefilmer und hatte sofort die Idee „daraus etwas zu machen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie wenig unterschiedlich wir in Ost und West sind.“ Der an Politik und Kunst interessierte Püschel wollte ein Signal senden, „etwas für die Wiedervereinigung tun“. Er entschied sich, ein Muster zu produzieren, Freunde mit Tonstudio und Erfahrungen im Arrangieren von Musikstücken halfen ihm dabei.  Das „Muster“ brachte er an dem Abend im Scharwenkahaus auch den Zuhörern zu Gehör, wobei es sich um eine Sing-Song-Version mit einem Frauenchor handelte. Diese Version hatte Püschel in Form einer Maxi-Single mit einem freundlichen Brief an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als „gut gemeintes Werk zur deutsch-deutschen Annäherung“ geschickt. Alles noch vor dem Mauerfall! Doch Honecker lehnte ab, ein kleiner Brief mit Absage kam an Püschel zurück. Ein Rechtsanwalt riet ihm, die Single dennoch in Umlauf zu bringen. Auf alle Fälle wäre es eine gute Publicity gewesen, aber befürchtete auch, nicht mehr per Auto die Transitwege durch die DDR nach Westdeutschland nutzen zu können. „Ich hätte ja von Grenzsoldaten verhaftet werden können.“ Also legte er seine deutsch-deutsche Hymne auf Eis.

Dann kam die Wende und eine neue Chance. Dietmar Püschel kümmerte sich um die Urheberrechte und setzte sein ganzes Erspartes auf eine Karte: eine sinfonische Aufnahme sollte entstehen. Gewonnen wurde dafür das 1990 noch existierende DDR-Rundfunkorchester und der Rundfunkchor, die Aufnahmen wurden im Studio in der Nalepastraße gemacht. Es entstand ein Mix aus beiden deutsch-deutschen Nationalhymnen. „Als ich die Vereinigungshymne im Studio gehört habe, musste ich heulen“, gesteht der heute 75-Jährige.

Oben links das Plattencover, wie es Erich Honecker bekommen hat. Aber er wollte die gemeinsame Hymne nicht.

Doch das Echo aus der Politik war ernüchternd, Püschels Idee wurde ignoriert, kam gar nicht bis ins Parlament, wurde schon vorher abgeschmettert. Dann gesellte sich auch noch Pech dazu: „Ich wollte die CD zu dem symbolischen Datum, zum Einheitstag 3. Oktober 1990, auf den Markt bringen, aber sie wurde erst am 20.Oktober fertig. Da hat sie niemand mehr gewollt.“

Popversion der deutsch-deutschen Nationalhymne mit der Sängerin Anke Lautenbach

Püschel glaubt, dass nach der Wende die Menschen andere Sehnsüchte oder Probleme hatten – das neue Auto oder die Arbeitslosigkeit, als sich um eine gemeinsame Nationalhymne zu kümmern. Viele in der Politik hätten die Erinnerung an die DDR einfach auslöschen, nichts übernehmen wollen. „Das war ein großer Fehler, wie sich heute zeigt“, sagt Püschel. Solche Zeilen aus der DDR-Hymne wie „alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand“, seien ja aktueller denn je. Und wenn man sich wünscht, dass „die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint“, müsse man da gleich ein Nationalist sein?

Vereinsmitglied Waltraut Tuchen durfte jedem Besucher der Veranstaltung eine CD mit den zehn Versionen der gemeinsamen Hymne schenken – als Erinnerung an einen spannenden Abend

1997 dann wurde die ganze CD mit zehn verschiedenen Versionen, auch eine Popversion – der gemixten Nationalhymnen im MDR produziert. Aber irgendeiner habe wieder kalte Füße bekommen, sie sei nicht öffentlich bekannt gemacht worden. Diese CD’s mit dem Titel „3. Oktober 1990 in Pop &Classic“ stapeln sich nun bei Dietmar Püschel.

Aus dem Publikum im Scharwenka Kulturforum erfuhr der Berliner eine positive Resonanz. „Sie werden eines Tages noch berühmt“, sagte etwa Jürgen Watzlaw aus Frankfurt (Oder). „Die gemeinsame Nationalhymne wird irgendwann kommen.“

Ihr „Erfinder“ wünscht sich, dass es mal eine Volksabstimmung dazu gibt. Wollen wir eine neue Nationalhymne? Und wenn ja, welche?

 

Die CD „3. Oktober 90 in Pop&Classic“ mit zehn verschiedenen Versionen einschließlich einer Deutschen Hymnenchronik kann man erwerben über die Firma von Dietmar Püschel: Auvicom GmbH, 13585 Berlin, Eiswerderstraße 18, Tel. 030-3553450