Oft schon konnte die Autorin an dieser Stelle schreiben: Schade für alle, die diese Veranstaltung im Scharwenka Kulturforum verpassten. Klingt fast schon abgedroschen, spricht aber für die Qualität der Veranstaltungen in dieser kleinen, aber feinen Kultureinrichtung. Gleiches gilt wieder für den kalten November-Sonntag, als Lucy van Kuhl zu Gast war.
Im Sturmschritt enterte die großgewachsene, schlanke 39-Jährige die Bühne und schlug sofort furios in die Tasten des feinen Bechstein-Flügels, dass es eine reine Freude war. Gleich mit ihrem ersten Titel „Abstand“ spürten die Zuhörer, wohin die Reise mit ihr geht. Eine schöne Stimme, begleitet am Klavier, serviert Texte mit „Hirn und Herz“, wie es zum Schluss als Fazit die Besucherin Renate Jährling treffend formulierte. Die Sängerin meint, mit Abstand sieht manches ganz gut aus, wie am anderen Rand der Tanzfläche zum Beispiel Jean-Pierre mit Drei-Tage-Bart. Und beim näheren Betrachten bleibt dann nur ein ernüchterndes „Na, ja“. Dass in dem Titel auch der 1,50-Meter-Abstand aus dem Lockdown und einige andere (un)sinnige Bestimmungen ihr Fett wegbekamen, war dann auch klar.
Der eigentliche Titel ihres Programms „Dazwischen“ leuchtete viele Fragen des Alltags auf sehr pointierte Weise aus, weil man sich immer zwischen irgendetwas entscheiden muss und irgendwie stets zwischen den Stühlen sitzt. Ein Highlight ihres Programm ist ihr Lied über die Rolle des Smartphones in den Händen von Chantal – man muss es hören, um sich so vor Lachen zu biegen, wie es die Zuhörer vergnüglich taten. Überhaupt geht sie mit der zum Teil schon krankhaften Abhängigkeit von den Möglichkeiten, die die neue Medientechnik bietet, auf kluge und zugleich ironische Weise ins Gericht. Wenn sie beschreibt, Facebook-Freunde mal auf ganz herkömmliche Weise auf der Straße finden zu wollen, dabei Leute anspricht, ob diese sie nett finden, ihnen erzählt, was ihre Vorlieben sind, welche Hobbys sie hat, wie sie ihren Roller reparierte, ihnen Fotos von ihren Reisen zeigt und vor allem jene über jedes Essen, das sie irgendwo zu sich nahm, karikiert sie diese Form der Kommunikation im Internet ganz hervorragend. Fazit ihrer Gespräche auf der Straße: „Nach einer halben Stunde auf der Straße hatte ich zwei Polizisten, einen Psychotherapeuten und einen Pfleger auf meiner Freundesliste.“
Auch ihr Klagelied über die aussterbende Spezies des Lesezeichens, das nicht mehr gebraucht wird, weil man beim Lesen entweder einen Knick in die zuletzt gelesene Seite macht oder das Buch brutal in den Spagat zwingt, hat etwas Köstliches. Und der Text, mit dem sie Gertrud und Willi zur Melodie „Eine Seefahrt, die ist lustig“ bei einer Kreuzfahrt begleitet, bietet schwarzen Humor vom Feinsten und ließ die Zuhörer begeistert in die Hände klatschen.
Die Atmosphäre, die Lucy van Kuhl mit ihren originellen, meist witzigen, mitunter auch melancholischen Texten wie „Wo ist Frau Schmidt?“ und ihrer Musik dazu verbreitet, muss man live erleben. Dafür war die Besucherin Ingrid Finke extra aus Prieros angereist und so glücklich dabei gewesen zu sein, dass sie sich zum Abschluss in die Reihe der vielen Interessenten einreihte, die die CD´s von Lucy van Kuhl erwarben.
Die erfrischend und mitreißend agierende Künstlerin war bereits das zweite Mal im Scharwenka Kulturforum. Man kann nur hoffen, dass es nicht das letzte Mal war.