Die mit dem Körper spricht . . . .

Die Tänzerin Ines Dalchau zu Gast in Bad Saarow

Es war ein außergewöhnliches Erlebnis am Donnerstagnachmittag im Scharwenkahaus. Ines Dalchau, die frühere Solotänzerin an der Komischen Oper  und der Deutschen Staatsoper Berlin, erzählte über ihren Lebensweg. „Meine Sicht auf meine Zeit“ nennt sie diese Rückschau auf ihr Leben. An ihrer Seite der Musiktheater- und Ballettdramaturg und ehemals stellvertretende Intendant des Staatlichen Tanzensembles der DDR, Jürgen Nitschmann. Gemeinsam vermittelten sie dem Publikum, auch mit eingeblendeten Filmszenen, ein beindruckendes Zeitbild.

Ines Dalchau erzählt mit Bescheidenheit und Zurückhaltung über ihre Karriere. Wer sie jedoch auf den Opernbühnen der Hauptstadt oder in den eingeblendeten Filmszenen gesehen hat, erlebt eine ausdrucksstarke Tänzerin mit expressiven Bewegungen.

Hoch hinaus wollte sie schon bei ihrer Geburt. 1952 wurde sie im ersten Hochhaus Ostberlins an der Weberwiese, im obersten Stock, geboren. Ihr Vater war Architekt der Gruppe Henselmann und die Familie erhielt diese schöne Wohnung als Anerkennung für seine Leistungen. Später zog die Familie nach Magdeburg und Ines besuchte mit einer Freundin das am Stadttheater angesiedelte Kinderballett, wie es so viele der DDR gab. Dort fiel ihr Bewegungstalent auf und als die Staatliche Ballettschule Berlin Talente suchte, durfte sie sich dort mit einer tänzerischen Improvisation vorstellen. Ines Dalchau stellte, nicht wie ihre Mitbewerberinnen eine Prinzessin, sondern, wohl schon damals ausdrucksstark, eine Hexe dar- und wurde aufgenommen. So kam sie, 10jährig, wieder nach Berlin, diesmal ins Internat der Ballettschule. Sie gehörte von 1963 an zum ersten siebenjährigen Ausbildungsjahrgang für Kinder an der Ballettschule, die neben ihrer schulischen Allgemeinbildung die Berufsausbildung zu Bühnentänzern absolvierten. „Die Ausbildung war hart, kein Streichelzoo oder Ponyhof“, so resümiert Ines Dalchau heute. Auf dem Stundenplan standen parallel zu Mathe, Deutsch, Biologie, Chemie und Französisch u.a. auch Musik- und Tanzgeschichte. Und natürlich das tägliche Training in klassischem Ballett, Pas de deux, Akrobatik, Folklore- , Stepp- , Jazz- oder Ausdruckstanz. „Aber was ich in den sieben Jahren an Vielseitigkeit, an Kreativität und an Disziplin gelernt habe, das hat mich durch mein ganzes Berufsleben getragen.“ 

„Ich hatte nicht geahnt, wie umfangreich und hart die Ausbildung sein wird, aber wir haben im Kollektiv nichts vermisst, wir lernten so unsere Körper kennen und uns im Tanz kreativ auszudrücken. Schmerzen wurden mit Adrenalin weggedrückt. Und schließlich hatten wir immer ein Ziel vor den Augen: Den Auftritt auf einer der großen Opernbühnen. Als ich als Kind in der Staatoper zum ersten Mal Schwanensee gesehen hatte, wusste ich, das will ich auch können“, erinnert sich Ines Dalchau. 1968, nach fünf Jahren der Ausbildung in Berlin, wurde sie, als Jahrgangsbeste, zum Bolschoi Theater in Moskau delegiert. „Dort im Ballettsaal hatte ich außergewöhnlich prägende Begegnungen mit den weltberühmten russischen Ballett-Solistinnen, wie Galina Ulanowa, wie Maja Plissetzkaja. Das gab mir noch einmal einen besonderen Motivationsschub“, so die Künstlerin heute.

1970 folgte der Abschluss des ersten siebenjährigen Ausbildungsjahrganges an der Berliner Ballettschule mit dem Staatsexamen als Bühnentänzerin. Die 13 Absolventinnen und Absolventen waren begehrt an den Bühnen des Landes. Ganz im Gegensatz zu heute, wo es viel mehr ausgebildete Tänzerinnen als freie Stellen gibt. Ines Dalchau, die schon im Praktikum an der Komischen Oper debütiert hatte, wurde von Tom Schilling an das Tanztheater-Ensemble der Komischen Oper engagiert.

Der Vorhang öffnet sich

„Der Vorhang öffnete sich, hinaus auf die Bühne, auf die Bretter, die die Welt bedeuten“, so beschreibt Ines Dalchau ihr damaliges Lebensgefühl. Was störte es da, dass die erste eigene Wohnung eine baufällige Hinterhofwohnung im Prenzlauer Berg war. Es galt eine Welt zu gewinnen.

Mit dem Ensemble der Komischen Oper, dramatischem Musiktheater höchster Qualität, mit Felsensteinscher Prägung, auch in den Ballett-Inszenierungen von Tom Schilling kongenial umgesetzt, war das kein Problem. Ines Dalchau bekam erste Chancen als Solistin.

Tanz – das war mein Leben

1974 kam der Ruf an die Deutsche Staatsoper Unter den Linden.

Und mit ihm die Solo-Rollen in spektakulären Ballett-Inszenierungen wie die Mascha im Nussknacker von Tschaikowsky, wie die Eva in Die Erschaffung der Welt, wie in Spartacus, Juan von Zarissa, Abraxas, Undine. Mit ihren Partnern Joschka Sklenar, Roland Gawlik, Uwe Arnold und anderen tanzte sie in vielfältigen Inszenierungen.

In einer modernen Choreografie mit dem Titel „Psychogramme“ von Herrmann Rudolf im Jahr 1977 bewies Ines Dalchau, dass sie neben dem klassischen Spitzenballett auch den modernen Ausdruckstanz souverän beherrscht.

In einer dem spanischen Freiheitskämpfer und Dichter Garcia Lorca gewidmeten Ballettinszenierung mit dem Titel „Ein Augenblick der Freiheit“, choreografiert von Emöke Pöstenyi, erlebte man Ines Dalchau mit ihrem Partner Ekkehart Axmann 1984 in einer überaus beeindruckenden und beklemmenden Interpretation.

Tanz ist eine universelle Sprache. Sie braucht keine Übersetzung. Die guten Inszenierungen der DDR-Theater waren gefragt in aller Welt. Mit dem Ensemble reiste sie um die halbe Welt, darunter nach Italien, Frankreich, Spanien, die Sowjetunion, Griechenland, Ägypten, Finnland, Österreich, die Schweiz und zweimal bis nach Japan. „Das war interessant und inspirierend. Wünsche wurden genährt“, so Ines Dalchau heute. Manch einer nahm die Chance wahr. „Aber für mich kam das nicht in Frage, ich habe mich in meiner Heimat, der DDR, geborgen gefühlt.“

1992 choreografierte die Tanzlegende Rudolf Nurejew an der Deutschen Staatsoper Berlin Tschaikowskys Ballett Dornröschen. Zur Premiere verkörperte er, obwohl schon sehr krank, bei einem seiner letzten Auftritte die böse Fee. Ines Dalchau tanzte mit ihm als seine Gegenspielerin, die gute Fee. So hat auch sie Ballettgeschichte mitgeschrieben.

1992 mit Rudolf Nurejew in Dornröschen

„In den 30 Jahren meiner tänzerischen Laufbahn konnte ich in fast 60 Opern- und Ballett-Inszenierungen mitwirken. Ich konnte alles sein, lyrisch, dramatisch, komisch, romantisch. Die Bühne – das war mein Leben“, resümiert Ines Dalchau.

1993 – Ankunft in einem neuen Leben

Dann kam die Wende – 1993 ein neuer Intendant an die Staatsoper – und sie musste mit 40 Jahren, wie so viele andere im Osten, einen Neuanfang wagen. Ines Dalchau entschied sich für eine dreijährige Umschulung zur Ergotherapeutin. In ihrem Kurs war sie die Älteste, wohl aber auch die mit der meisten Lebenserfahrung.

Heute blickt die Ergotherapeutin in der Brandenburgklinik in Bernau, die tagsüber gemeinsam mit ihren Patienten nach schweren Unfällen oder neurochirurgischen Eingriffen um die Rückeroberung verloren gegangener Körperfunktionen ringt, bereits auf 26 erfolgreiche Jahre in ihrem zweiten Beruf zurück. „Heute ist der blaue Kittel mein neues Kostüm auf der kleinen Bühne des Therapieraumes. Und ich freue ich mit meinen Patienten über jeden noch so kleinen Erfolg“, so Ines Dalchau.

Auch hier spricht sie quasi wieder mit dem Körper, um ihn herauszufordern – diesmal mit dem der Patienten. So hat sie einen großen Sinn und Erfüllung in ihrem zweiten Beruf gefunden.

Applaus, Applaus für ein gelungenes Leben!

 

Auf der Bühne der Staatsoper
Als Elevin im Balettsaal
Frühere Kolleginnen treffen sich in Bad Saarow
Vera Jaspers vom Scharwenka Kulturforum dankt für den gelungenen Nachmittag. Links im Hintergrund Jürgen Nitschmann
Wiedersehen mit Emöke Pöstenyi