Loyaler Preuße mit einem Draht zu Polen

Experten-Symposium zum 100. Todestag Xaver Scharwenkas
Die Akteure des Symposiums: (v.l.) Wolfgang Scharwenka, Urgroßneffe des Künstlers; Prof. Dr. Shinji Koiwa, Universität Tokyo; Stiftungsvorsitzender Prof. Dr. Stefan Koch; Prof. Dr. Werner Benecke, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) und Prof. Dr. Mikolaj Rykowski, Musikakademie Poznan. Hier mit einer ganzen MOZ-Zeitungsseite über den „vergessenen Weltstar“.

Der Urenkel Michael Wedekind, hat sich sehr gefreut über die Würdigung seines Urgroßvaters Xaver Scharwenka (1840-1924). Anlässlich seines Todestages waren er und weitere Familienmitglieder Gast bei den viertägigen Veranstaltungen, ausgerichtet von der Scharwenka-Stiftung und dem Verein. Zu dem Symposium am 7. Dezember hatte Stiftungsvorsitzender Prof. Dr. Stefan Koch Experten eingeladen, die in ihren Referaten das Leben und Werk des Musikers beleuchteten und zu erklären versuchten, warum der damals berühmte Komponist, Pianisten und Musikpädagoge heute nur noch wenig bekannt ist.

Beleuchtet die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu Zeiten Scharwenkas: Prof. Dr. Werner Benecke von der Viadrina

Prof. Dr. Werner Benecke von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) blickte in die Geschichte des Deutschen Reiches, in eine Zeit, wo das sogenannte Großherzogtum Posen zu Preußen gehörte und zwischen hier lebenden Deutschen und Polen oft eine aufgeheizte Stimmung herrschte. In dieser Zeit wurde Xaver Scharwenka geboren und wuchs in Samter (heute Szamotuly) auf, später zog die Familie nach Posen, wo er und sein Bruder Philipp das Gymnasium besuchten. Aber schon 1865 siedelte die Familie nach Berlin über, wo Xaver Scharwenka seine musikalische Ausbildung begann – auch als Kneipenpianist sein Geld verdiente – und schnell als Konzertpianist eine gewisse Berühmtheit erlangte. Benecke stellte sein Wirken in eine Zeit der rasanten technischen Entwicklung, den der geschäftstüchtige Künstler zu nutzen wusste. Dank eines stark ausgebauten Eisenbahnnetztes und der florierenden Dampfschifffahrt nach Übersee konnte Scharwenka in bequemen Salonwagen viel durch Deutschland und Europa reisen und die USA besuchen. 28mal überquerte er den Atlantik in Komfortkabinen, innerhalb von 5 Tagen war er am Ziel.

Prof. Dr. Mikolaj Rykowski aus Poznan hat mehrere Bücher über Xaver Scharwenka geschrieben

Ein ausgesprochener Scharwenka-Kenner ist auch Prof. Dr. Mikolaj Rykowski von der Akademie für Musik in Poznan. Drei Bücher hat er über ihn geschrieben. Er würdigte besonders die Brücke, die Scharwenka zwischen der deutschen und polnische Kultur geschlagen hat, nicht nur wegen seiner berühmten „Polnischen Tänze“. Dabei seien seine ersten Jahre in Posen, in denen er mit der polnischen Volksmusik in Kontakt war, sehr wichtig gewesen. Vielfach werde sein Stil mit dem von Chopin verglichen, mitunter werde er sogar für einen Polen gehalten. Die amerikanische Pianistin Amy Fay (1844- 1924) schrieb über ihn: „Er ist sehr ansehnlich. Er ist ein Pole.“ Ihr gefällt sein olivfarbener Teint, seine haselnussbraunen Augen, sein lange braunes, flauschiges Har, ja und seine Gelassenheit. Besonders beliebt war er bei der in New York lebenden polnische Diaspora.  Rykowski würdigte ihn als einen loyalen preußischen Bürger mit einem Draht zu Polen, als einen Künstler, „der sich selbst globalisiert“ hat, als einen Vertreter der „Klangdiplomatie“, der über die Kunst diplomatisch und völkerverbindend agierte. In Polen wird Scharwenka zum Beispiel mit einem Festival in Szamotuly (früher Samten) geehrt. Ein Kritiker habe ihn sogar mal als „slawischen Wagner“ bezeichnet.

Aus Japan nach Bad Saarow gereist: Prof. Dr. Shinji Koiwa lehrt an der Hitotsubashi Universität

Der an der Hitotsubashi-Universität in Tokyo-Kunitachi lehrende Prof. Dr. Shinji Koiwa berichtete über den Umgang mit Scharwenkas Werk in Japan. Seine Studenten faszinierten die schönen Melodien und raffinierten Akkordwechsel, seine Musik sei reizvoll und attraktiv, habe Ähnlichkeiten mit der von Chopin und Liszt und gebe besonders Menschen mit Klavierkenntnissen „eine neue Hörerfahrung“ – eine wichtige Erkenntnis für das heutige Marketing.

Warum Xaver Scharwenka und sein Werk relativ unbekannt ist, fasste Prof. Dr. Stefan Koch so zusammen: In den 1920er Jahren ist er der nationalen Propaganda (war er Pole, war er Deutscher, vielleicht noch Jude ?)  zum Opfer gefallen und aus den Konzertsälen verschwunden. Scharwenka war sehr seiner Zeit verbunden und ein Romantiker, der dem Wandel und dem neuen Zeitgeist nicht folgte.

Aber es gibt Hoffnung der Wiederbelebung: Der Urgroßneffe von Xaver Scharwenka, Wolfgang Scharwenka,  hat festgestellt, dass heute wieder häufiger auf modernen Medien, zum Beispiel You Tube Scharwenkas Musik zu finden ist. Eine Chance, sie wieder mehr zu hören und unter Musikliebhaber zu bringen. Stefan Koch sagte, zu Scharwenka gebe es „noch vieles zu erforschen und zu diskutieren“. Zum Beispiel sei sein Musikpädagogisches Konzept während des Symposiums nicht berührt worden. Die rund 500 Briefe und Karten, die er hinterlassen habe, seien von „historischem Wert“, weil sich daraus Aufenthaltsorte, Konzerttätigkeiten und Personenkreise rekonstruieren lassen. „Wir freuen uns über alles, was wir aus seinem Nachlass bekommen können.“ Koch versicherte, einen „kleinen Kongressband“ von den hochinteressanten Vorträgen während des Symposiums herauszugeben.

Xaver Scharwenka, der sich 1910 das Waldgrundstück in Bad Saarow kaufte und darauf seine „Musenhütte“ errichten ließ, starb mit 74 Jahren am 8. Dezember 1924 an den Komplikationen einer Blinddarmoperation.

Sehen sich ein bisschen ähnlich: Michael Wedekind und sein Urgroßvater Xaver Scharwenka

Von seinem talentierte Urgroßvater hat Urenkel Michael Wedekind, er wohnt heute mit seiner Familie in der Nähe von Münster, erst spät erfahren. „Eigentlich fing ich erst an, mich für ihn zu interessieren, als bescheidene Tantiemen aus Einnahmen der GEMA auf mein Konto flossen. Meine Familie ist früh aus Berlin weg ins Rheinland gezogen“, erklärt er den fehlenden Kontakt. Aber an das Sommerhaus des Urgroßvaters in Bad Saarow, in dem zuletzt eine seiner drei Töchter wohnte, kann sich der 82-Jährige noch erinnern:  „Ich muss vier oder fünf Jahre gewesen sein, als ich meine Tante Zenaide hier besucht habe. Es gab einen wunderbaren Obstgarten. Hier habe ich als Berliner Kind meinen ersten Apfel nach dem Krieg gegessen.“