Jeder möchte gesund bleiben oder werden und hofft immer auf die ärztliche Kunst. Doch auch diese ist manchmal schmerzlich begrenzt. Damit Ärzte sich ständig weiterbilden und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft bleiben, damit sie ihr praktisches Können verfeinern und mit anderen Medizinern in fruchtbaren Gedankenaustausch kommen, damit neu entwickelte Medizintechnik getestet werden kann, braucht es Orte, wo das unter praxisnahen Bedingungen gelernt werden kann – zum Beispiel im Kompetenzzentrum „Medizin im Grünen“ am anderen Ende des Sees in Wendisch Rietz.
In diese Einrichtung verschaffte Dr. rer. nat. Heiko Ziervogel den zahlreich erschienenen, sehr interessierten Besucher beim neuesten „Hör‘ mal zu“-Abend einen Einblick. Sein Unternehmen, so sagte er, sei einzigartig in Deutschland. In Europa könne man solche an fünf Fingern abzählen. Auch deshalb sei es weltweit gefragt. Der Bad Saarower ist der Chef des Zentrums. Vereinsmitglied Waltraut Tuchen versuchte im Gespräch mit ihm herauszufinden, was konkret hinter dessen Mauern geschieht.
Ehe er etwas konkreter darauf einging, benannte er die erfragten Etappen seiner bisherigen Laufbahn. Sie führten ihn nach dem Studium der Biophysik und der Promotion in Berlin zunächst ans damalige Krankenhaus in Bad Saarow – unter den Zuhörern auch ehemaligen Kolleginnen aus dieser Zeit. Nach dem Ende der DDR folgten Jahre der Wanderschaft, wie er diese Zeit nannte. Er war in verschiedensten Städten im westlichen Teil Deutschlands unterwegs, arbeitete vorwiegend bei Medizintechnikunternehmen. Wegen seiner oftmaligen langen Abwesenheit eine schwierige Zeit auch für seine Familie, die aber dann ein Ende fand, als er bei einer Tätigkeit in Groß Dölln in einer ähnlich gearteten Einrichtung wie seiner heutigen seine eigentliche Berufung fand. Dort sehr engagierte Praktiker bekräftigten ihn, den unsicheren Sprung in die Selbstständigkeit zu tun. So kaufte er 2003 das Unternehmen aus einer Insolvenz und wagte nach sieben Jahren Arbeit in der Schorfheide im Jahr 2010 mit dem Bau des neuen Kompetenzzentrums in Wendisch Rietz einen nochmal weitaus größeren Schritt. Am Südufer des Scharmützelsees fand er nicht nur das passende Grundstück für die Investition, sondern in Gestalt des damaligen Bürgermeisters Wiesner einen Partner, der ihn mit offenen Armen und größtmöglicher Unterstützung für sein Vorhaben empfing.
Seit der Eröffnung sind 13 Jahre vergangen, das Zentrum hat weltweit einen guten Namen. Dr. Ziervogel beschrieb sehr empathisch, an welchen Objekten sich in seiner Einrichtung gestandene Mediziner oder auch ganz junge Ärzte weiterbilden, woran sie operieren können, ohne Experimente am Patienten im Krankenhaus eingehen zu müssen. Mit diesem neu erworbenen Wissen können sie dann aber nach der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz mit noch mehr praktischer Erfahrung und Fachkenntnis den ihnen anvertrauten Patienten helfen. Diese Erfahrungen jedoch, so Dr. Ziervogel, könne man nicht nur an plastischen Modellen, technischen Puppen oder mit Powerpoint-Präsentationen erlernen. Deshalb sind ihre Patienten in Wendisch Rietz sowohl tierische Lebewesen – zumeist Schweine und zum Teil auch Schafe – als auch menschliche Körperspender.
Auch wenn diese Praxis gesellschaftlich umstritten ist, verteidigte Dr. Ziervogel die Möglichkeit, dass Mediziner am lebenden und narkotisierten Schwein trainieren dürfen: „Und wenn sie dabei Fehler machen, können sie daraus nur lernen, um sie später in der Klinik am Patienten auf dem OP-Tisch zu vermeiden.“ Seit 2000 Jahren würden Mediziner am Schwein trainieren. „Bei uns erhalten unsere Gäste Lernergebnisse, die sie nicht vergessen werden“, sagte Ziervogel.
Dass der Umgang mit den Tieren ethische Fragen, ja die Seele, berühren, spüren seine Mitarbeiterinnen und der eine Kollege außer ihm – der eigens für die Tiere angestellte Pfleger – tagtäglich. Sie würden diese Philosophie leben, dass es ihre Patienten sind, denen sie im Prozess der Narkotisierung oder bei der Assistenz am OP-Tisch jegliche Fürsorge zukommen lassen. Und das bis zum Schluss, wenn das Tier nach der OP eingeschläfert werden und der Tierkörperverwertungsanstalt übergeben werden muss, da es laut Vorschrift nicht mehr für andere Zwecke verwendet werden darf. Sind Tiere länger bei ihnen, weil zum Beispiel das Einwachsen eines Implantats beobachtet wird, ist dieses emotionale Auf und Ab noch intensiver. Der verantwortungsvolle Umgang mit den Tieren, den auch eine Veterinär-Ingenieurin im Team überwacht und kontrolliert, ist oberstes Gebot. Zudem müsse jedes Tierexperiment bei den zuständigen Stellen beantragt und genehmigt sowie begründet werden, warum keine andere Methode für den Lernprozess in Frage komme.
Ebenso wichtig seien aber auch die Erkenntnisse, die beim Operieren an menschlichen Körperspenden gewonnen werden. „Die Schweine oder Schafe, die auf dem OP-Tisch liegen, sind meist jung, haben selten eine gravierende Krankheit. Diese finden wir aber bei älteren Körperspendern.“ Die Frage der Interviewerin, ob es auch möglich sei, Körperspenden mit einem bestimmten Krankheitsbild – zum Beispiel einem Gehirntumor – direkt von den dafür zuständigen Stellen anfordern zu können, bejahte Heiko Ziervogel. Aber er ließ auch durchblicken, dass die Situation auf diesem Gebiet – speziell die Zusammenarbeit mit den anatomischen Instituten – ziemlich kompliziert sei.
Bei der anschließenden Möglichkeit Fragen zu stellen, zollte Dr. Ziervogel einem Zuhörer seine besondere Hochachtung. Klaus Kölling und seine Frau möchten nach ihrem Tod ihren Körper für medizinische Zwecke zur Verfügung stellen und erbaten sich vom Gast auf dem Podium Ansprechpartner für ihr Vorhaben, da ihre Recherche noch nicht erfolgreich war.
Die Schlussfrage des Interviews, ob Dr. Ziervogel denn für die fernere Zukunft schon einen Nachfolger für sein Kompetenzzentrum ausgeguckt habe, verneinte er. Aktuell versetzt seiner Einrichtung die Entscheidung des Brandenburger Gesundheitsministeriums – „die Ministerin ist ja selbst Ärztin“ – zur rigorosen Reduzierung der zu behandelnden Tiere einen großen Schock. Inzwischen habe sich aber der politische Wind schon etwas gedreht und angesichts sinkenden Zuspruchs für die Grünen treffen seine fachlichen Begründungen für die Notwenigkeit der Arbeit seiner Einrichtung wieder auf verständnisvollere Ohren. Aber noch sei nicht alles in trockenen Tüchern. „Wenn das Problem gelöst ist, kann ich irgendwann die Sache mit dem Nachfolger angehen.“