Beim Schreiben ein Trauma verarbeitet

Wie der Blitz schlug die Liebe ein, dann kamen die Probleme mit der Partei - Autorin Waltraut Tuchen erzählt "Zur Kaffeezeit" aus ihrem Leben in der DDR
Autorin Waltraut Tuchen (l.) im Gespräch mit Gerlinde Stobrawa

 

Mit ihrem Buch „Ein Traum der uns trug/trog“ hat Waltraut Tuchen ihr eigenes Lebenstrauma verarbeitet. Viele Jahre mussten vergehen, ehe die heute 72-Jährige in der Lage war, persönliche und gesellschaftliche Ereignisse in der DDR, die sie als junge Frau und SED-Journalistin beim „Neuen Tag“, der Bezirkszeitung Frankfurt (Oder), erlebte, zu verarbeiten. Aber darum geht es nicht allein in ihrem Buch. Sehr detailgetreu beschreibt sie das Leben in der DDR, wie sie als Kind zunächst in der Stadt, später sehr einfach auf dem Dorf lebt, wo die Eltern in der Landwirtschaft arbeiten und auch die Kinder hart rangenommen werden, wie sie später einen alten Trabant für mehr als zum Neupreis ergattert und voller Freude ihre erste Neubauwohnung in Frankfurt (Oder) beziehen kann. Bei dem zumeist älteren Publikum, das zur „Kaffeezeit“ ins Scharwenka Kulturforum gekommen war, spürt man, wie auch bei ihnen Erinnerungen wach werden.

Rund 30 Gäste verfolgen gespannt das Gespräch zwischen Gerlinde Stobrawa, Leiterin der Hauses, und der in Bad Saarow lebenden Autorin. Sie erzählt über ihren Ehrgeiz in der Schule, ihre Freude an der russischen Sprache, bezeichnet sich selbst als „rote Socke“, die im Elternhaus im Sinne des Staates und der Partei erzogen worden war. Früh erkennt sie, schon als Schülerin der Erweiterten Oberschule, dass sie Journalistin werden will. Alles geht schließlich seinen sozialistischen Gang: Volontariat bei der Zeitung, Studium, Heirat, eine Tochter. Nach dem Studium in Leipzig arbeitet sie in der Redaktion in Frankfurt (Oder), „immer in dem Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen“. Karen Wersicke, so nennt sie sich in ihrem Buch, hat die Absicht, Karriere zu machen, in die Chefredaktion aufzusteigen. Und sie will in Moskau Diplom-Gesellschaftswissenschaft studieren. Dazu muss sie ein halbes Jahr auf eine Sonderschule in Kleinmachnow, um russisch zu lernen. Schon am ersten Tag passiert das, was sie sich nie hätte vorstellen können und was ihr Leben auf den Kopf stellt: Sie begegnet Peter. „Ich hätte nie gedacht, dass es sowas wie Liebe auf den ersten Blick gibt“, erzählt sie mitreißend ihre Geschichte. Auch Peter (im wirklichen Leben ist es Claus) ist verheiratet und hat zwei Kinder. Es ist nicht nur eine Affäre zwischen den Beiden, sie merken sehr schnell, dass sie zusammengehören und machen sich gegenüber ihren Familien ehrlich. Doch die Partei spielt nicht mit. Weil Peter zur Strafe nicht mehr nach Moskau darf und seine Arbeit im Parteiapparat verliert, verzichtet auch Waltraut. Ohne ihn will sie nicht in die Sowjetunion. Sie bekommt eine Rüge wegen „parteischädigenden Verhaltens“, wird wegen ihrer „Verfehlungen“ von der Tageszeitung in eine Betriebszeitung versetzt. Dass dem Liebespaar so übel mitgespielt wurde, wundert Vera Jasper, eine der Zuhörerinnen, die im Westen aufgewachsen ist. „Wir wussten, dass in der DDR viele Ehe geschieden wurden, das war also nichts besonderes. Wieso war das dann parteischädigend?“ Eine schlüssige Antwort darauf kann Waltraut Tuchen auch nicht geben. „Ich habe das bis heute nicht begriffen.“

Ehemalige Kollegen waren zur Buchbesprechung ins Scharwenka Haus gekommen: Karl Heinz Stietz und Ralf Döscher (r.)

Im Buch schildert die Autorin wie Karen und Peter viele Jahre glücklich zusammenleben, einen Sohn bekommen und gemeinsam durch dick und dünn gehen. Karen darf irgendwann wieder zurück in die Redaktion der Tageszeitung, Peter findet Arbeit in einem Betrieb in Frankfurt (Oder).

Claus Tuchen ist im vergangenen Jahr verstorben, aber er hat seine Frau unterstützt, dieses Buch zu schreiben, ihr viele Hinweise gegeben. „Leider konnte er nicht mehr miterleben, dass dies schon meine vierte Lesung ist“, freut sich Waltraut Tuchen über die Resonanz. „Dieses Buch soll nicht als Anklage oder Abrechnung verstanden werden, es war für mich eine Seelenreinigung“, bekennt sie. Auch in Bezug auf ihre Arbeit als Journalistin in der DDR, die das System mitgetragen hat. „Wir hatten eine Schere im Kopf, wussten, was wir zu schreiben hatten. Aber ich habe nicht darunter gelitten, weil ich immer glaubte, es sei für eine gute Sache.“ Um so größer sei das Trauma mit der politischen Wende 1989 gewesen, wo auch sie hatte erkennen müssen, „dass eine Utopie gescheitert war.“ Befragt zum heutigen Journalismus sieht Waltraut Tuchen durchaus Parallelen, weil es eine Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung gebe.

Wie war das in der DDR? Das Interesse an dem Gespräch mit Autorin Waltraut Tuchen war groß