Zwei unterschiedliche Gastredner – doch sie passten inhaltlich gut zusammen. In Erinnerung an den 9. November 1938, wo die Nazis in Deutschland begannen, ihre „Judenpolitik“ gewaltsam umzusetzen, hatte das Scharwenka-Kulturforum Karin Lüdke, Leiterin der Arbeitsgruppe Jüdische Spuren in Bad Saarow, und den Publizisten und Regisseur Prof. Eberhard Görner eingeladen. Karin Lüdke erinnerte daran, dass in den 1920er Jahren auch viele jüdische Menschen aus Berlin in das aufstrebende Bad Saarow zogen. Die meisten seien „assimilierte Juden“ gewesen, die sich als Deutsche fühlten. 60 Namen von jüdischen Mitbürgern seien bekannt, 285 Namen ließen sich aufzählen, die mit Juden in Verbindung standen. So der Schriftsteller Gustav Hochstetter, der 1873 in Mannheim geboren und – wegen seiner jüdischen Herkunft 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert worden war, wo er zwei Jahre später starb. Weil Juden aufgefordert worden waren, sich von ihren arischen Ehepartnern zu trennen, hatte sich auch Hochstetter von seiner Frau scheiden lassen. Offenbar zu ihrem Schutz. Diese, so wusste Karin Lüdke, hätte während der Nazizeit auch jüdische Bürger bei sich versteckt. Ein „Stolperstein“ erinnert heute im Karl-Marx-Damm an den jüdischen Schriftsteller. Ziel des damaligen Saarower Bürgermeisters sei es gewesen, möglichst schnell einen „judenfreien Kurort“ zu schaffen. Auch in Saarow habe es eine Pogromnacht gegeben, wo Juden und ihre Häuser sowie ein jüdisches Kinderheim angegriffen worden seien. Einige haben sich mit Auswanderung retten können, über 50 jüdische Bürger seien in Lager gebracht worden. „Und keiner, der überlebt hat, ist zu uns zurückgekehrt“, so Karin Lüdkes bittere Erkenntnis.
Schon früher, im Juni 1922, ist der liberale Politiker Walther Rathenau (geboren 1867) von Rechtsradikalen im offenen Wagen auf dem Weg zum Reichstag erschossen worden. An den „einzigen jüdischen Außenminister in der deutschen Geschichte“ erinnerte Prof. Eberhard Görner nicht nur mit seinem Film „Von kommenden Dingen“, sondern auch mit Auszügen aus der Rede von Willi Brandt anlässlich des 100. Geburtstages von Rathenau im Jahr 1967. Der ehemalige Bundeskanzler (1969-1974) bezeichnete Rathenau als großen Patrioten, weil er nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem diplomatischen Geschick zur Versöhnung der verfeindeten Völker beigetragen und mit dem im April 1922 mit Russland abgeschlossenen Rapallo-Vertrag Deutschland aus der Isolation geholt habe.
Der Regisseur des Films hatte sein Interesse für den Politiker und Industriellen entdeckt, weil dieser wie er in Bad Freienwalde lebte. Rathenau hatte 1911 das heruntergekommene klassizistische Schloss der Hohenzollern in Freienwalde erworben und es als Künstlerhaus genutzt. Eberhard Görner kritisierte, dass das Schloss sich heute im Privatbesitz befindet, weil Kreis und Stadt eine Übernahme in kommunale Hand aus Kostengründen abgelehnt hatten. „Das hat sich als Erinnerungskultur erledigt“, bedauerte der 78-Jährige. Sein Film gibt Einblick in das Leben und die Gedankenwelt und das künstlerische Schaffen des bedeutenden Politikers, dessen „großes außenpolitisches Talent“ nicht nur Willy Brandt zu würdigen wusste. Der Film zeigt auch die Rede Hillary Clintons, damals Außenministerin der USA, während der Ehrung mit dem Walther-Rathenau-Preis im Jahr 2011.
Gerlinde Stobrawa, Leiterin des Scharwenka-Hauses, dankte zum Schluss Karin Lüdke und Prof. Görner. Mit ihren Ausführungen und dem Film hätten sie viele Anstöße dazu gegeben, über das was heute in Deutschland, Europa und der ganzen Welt vor sich gehe, nachzudenken.