„Die Regale der Buchhandlungen zucken bei Hermlin mit den Schultern, kühl, nüchtern: Nichts von ihm ist auf den Märkten gegenwärtig“, so hieß es zur Ankündigung der Veranstaltung. Nichts davon bewahrheitete sich an diesem Abend im Scharwenkahaus, als der Autor Hans-Dieter Schütt aus seinem Essay über Stephan Hermlin las, musikalisch begleitet von Sohn und Enkelsohn Andrej und David Hermlin. Das Haus war ausverkauft.
Die meisten der anwesenden Gäste kennen und kannten Stephan Hermlin als bedeutsamen Dichter, als Bezugsperson, deren Leben und Werk auf bewegende Weise den Aufschwung wie das Scheitern des politischen Systems in der DDR widerspiegelt. Schütt begegnet in seinem Buch dem Autor, der als Jude und Antifaschist, als Kommunist in der DDR seine Heimat fand, aber immer wieder gegen falsche Feindbilder und Unterdrückung Andersdenkender aufbegehrte.
Hermlin – Lyriker, Erzähler und Übersetzer – lebte den Widerspruch zwischen geistiger Unabhängigkeit und gleichzeitiger Akzeptanz des System, das eigene Fehler nicht erkannte und unfähig war, sie zu korrigieren. „Der Mensch will lieber gut leben als gut sein“, zitiert Hans-Dieter Schütt einen Satz Stephan Hermlins. Ein Satz, der uns auch heute wieder nachdenklich machen sollte.
„Niemals“, so sein Sohn Andrej im Gespräch, „habe sein Vater sich mit Unrecht abgefunden.“ Er habe nicht im Stillen protestiert, sondern immer auch öffentlich seine Stimme erhoben. „Er hat immer seine Geradlinigkeit und damit seine Würde bewahrt, weil er die Wahrheit mutig aussprach“, so der Sohn. „Das hat mich seit meiner Jugend geprägt und dafür bewundere ich ihn noch heute.“
Ein nachdenklicher Andrej Hermlin
Ob sich die Erinnerung an den 1997 verstorbenen Vater in den letzten Jahren verändert habe, wollte Schütt von Andrej Hermlin im Gespräch erfahren.
„Ja, insofern, dass der Trauer die Erleichterung gewichen ist. Dass mein Vater nicht mehr sehen muss, was ich heute sehen muss. Krisen und Kriege weltweit und ein stark wiederkehrender Antisemitismus und Rechtsextremismus.“ Manchmal denke er, so Andrej Hermlin, wir bekommen ein neues 1933 und das dröhnende Schweigen einer Mehrheit dazu mache ihn fassungslos. Er sei auch nach 30 Jahren aus der Linken ausgetreten, weil seiner Meinung nach die Linken den Staat Israel verdächtigen, einen Holocaust an den Palästinensern zu verüben. Das sei für ihn nicht hinnehmbar.
Kunst kann Hoffnung spenden
Kann Kunst uns retten, wenn man nicht mehr an politische Bewegungen glaubt, wollte Schütt daraufhin von Andrej Hermlin erfahren.
„Die Kultur kann nicht die Realität ausblenden“, ist sich Andrej Hermlin sicher. Die Menschen hätten Angst, weil der Krieg an ihre Türen klopft. Die Wahrheit sei, dass wir die neu anstehende Welt“un“ordnung nicht aufhalten können. Doch Kunst und Musik können helfen, die Situation zu ertragen und zu bewältigen. Nicht umsonst sei der Swing, die lebensfrohe Musik des schwarzen Amerika, zur Zeit der schweren Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden.
David und Andrej Hermlin
„Deshalb habe ich mich entschieden, trotz aller Krisen nicht bösartig oder depressiv zu werden“, so Andrej Hermlin bestimmt. „Ich gehöre, wohl auch dank der Erfahrungen meines Vaters, zu den Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen.“
Er , seine wunderbare Frau Joyce aus Kenia und seine Kinder Rachel und David, beide Solisten im SWING DANCE ORCHESTRA, haben beschlossen, sich die wunderbare Leichtigkeit des Seins zu bewahren.
„In der Pandemie-Krise haben wir uns nicht verkrochen, sondern meine Familie und unser SWING DANCE ORCHESTRA haben vor Krankenhäusern und auf den Straßen gespielt und unsere Musik ins Netz gestellt. Ich möchte mir selbst und den Menschen durch meine Musik Trost und Hoffnung spenden.“
Begeistertes Publikum
Das ist an diesem Abend auch im Scharwenkahaus gelungen. Mit einem Swing-Titel von Benny Goodman verabschiedeten sich Andrej und sein Sohn David und eilten weiter zum nächsten Konzert an diesem Abend, mit dem SWING DANCE ORCHESTRA. Hoffnung spenden!