Auf Spurensuche jüdischen Lebens im Kurort

Bad Saarow erinnert an Gustav Hochstetter

In der Reihe HÖR MAL ZU luden der Förderverein Kurort Bad Saarow und des Scharwenka Kulturforums zu einer gemeinsamen Veranstaltung ein.

Die Leiterin der Initiative Jüdische Spuren im Förderverein Kurort Bad Saarow e. V. , Karin Lüdke,  sprach mit Prof. Wolf D. Hartmann über Gustav Hochstetter (1873-1944) und seine unvollendete Biografie  „Ein Humoristen-Leben – Heitere Erinnerungen“.

Die erst kürzlich im Archiv des Museums von Fürstenwalde entdeckte unvollendete Autobiografie Hochstetters aus Theresienstadt berührt. Sie gibt Einblicke in das Leben und Schaffen des damals bekannten Humoristen. Hochstetters unerschütterlicher Optimismus trägt ihn bei seiner Vertreibung aus Bad Saarow/Pieskow in das jüdische Altersheim Radinkendorf bei Beeskow und von dort nach Theresienstadt.

Auf Spurensuche begab sich Prof. Dr. Wolf D. Hartmann, als er mit seiner Enkelin im vergangenen Jahr die Stolpersteine vor dem Haus Karl-Marx-Damm 99A putzte.

Wer war der Mann und wie ist es ihm und seiner Familie ergangen? Diese Frage ließ ihn nicht mehr los und der umtriebige Autor aus Bad Saarow begab sich auf Spurensuche. Er fand dabei engagiert Mitstreiterinnen, die in Archiven und Bibliotheken recherchierten. Die Bibliothekswissenschaftlerinnen Dr. Melanie Scholz und Dr. Astrid Böger, die im Ergebnis der Recherchen ein Buch mit ihren Ergebnissen vorlegen, das auf der Veranstaltung vorgestellt wurde.

Gleichzeitig wurde im LiteraturKabinett der Saarower Gemeindebibliothek eine profunde Ausstellung mit den Ergebnissen der Recherche eröffnet. Es ist erstaunlich und lobenswert, was die drei zusammengetragen , geordnet, aufbereitet haben und nun der Öffentlichkeit präsentieren. Originaldokumente , Manuskripte , Handschriften, Bücher und Schallplatten aus dem Besitz von Gustav Hochstetter. Es lohnt sich , die Ausstellung in der Gemeindebibliothek zu besuchen.

 

 

Ausstellungseröffnung in der Gemeindebibliothek

Wer also war dieser Gustav Hoftetter?

„Erstmals machte mich Christian Pietà (1945 – 2014) als Initiator der jüdischen Spurensuche in Bad Saarow auf Gustav Hochstetter 2012 aufmerksam“, schreibt Wolf.D. Hartmann im Vorwort. Im Nov. 2023 dann eine eher zufällige Entdeckung im Stadtmuseum Fürstenwalde: „Der Leiter des Museums , Guido Strohfeldt und ich entdeckten im Stadtarchiv den noch unsortierten schriftlichen Nachlass Gustav Hochstetters, darunter einen Durchschlag der wahrscheinlich im KZ Theresienstadt entstandenen Autobiografie des deutsch-jüdischen Humoristen.

Wir konnten es kaum glauben, dass bisher noch keiner dieses Manuskript aus seiner eigenen Hand entdeckt hatte.“ Wie sich später herausstellt, hatte ein Mithäftling Hochstetters das Manuskript aus dem Lager geschmuggelt und vermutlich 1947 seiner Ehefrau Hildgard in Bad Saarow übergeben. Deren Erben haben es dankenswerter Weise dem Stadtmuseum Fürstenwalde überantwortet.

Gustav Hochstetter wurde am 12 . Mai 1873 in Mannheim in einer Kaufmannsfamilie geboren. Mit 16 Jahre begann er eine Banklehre. In seiner Biografie beschreibt er den Beginn seiner literarischen Karriere voller Selbstironie: „Am klügsten war ich, als ich  sechzehn Jahre alt war. Von da ab ging es abwärts mit mir.“  Und mit eigener Handschrift ergänzt er im vorliegenden Manuskript: „Und jetzt bin ich siebzig. Man stelle sich den Zustand der Verblödung vor, in den ich allmählich hineingelangt bin.“

Zeilen, geschrieben 1943 in einem Konzentrationslager! Welche Stärke gehörte dazu in solcher Situation den Humor zu behalten. Es war vermutlich seine Überlebens-Strategie.

Das Schreiben war ihm in die Wiege gelegt und blieb es bis zu seinem Lebensende. Ab 1904 – 1910 erschienen Lustspiele , Gedichte und Humoresken. Hofstetter war zu Beginn des letzten Jahrhunderts ein gefragter Autor . Offenbar traf er mit seinen humoristischen, satirischen Artikeln , Gedichten und Büchern den Geschmack der Leserinnen und Leser.

Dass dies auch heute noch zutreffen kann, bewies Frau Dr. Dorothee Koch, die auf der Veranstaltung Originalgedichte von Gustav Hochstetter  vorstellte.

Schon früh erhielt er eine Anstellung als Redakteur der „Lustigen Blätter“ in Berlin, einer am Anfang des 20. Jahrhunderts bekannten Satirezeitschrift. Seine schriftstellerische Tätigkeit  erstreckte sich vom Verfassen einfacher Verse, über ganze Romane, Theaterstücke Filmskripte, Songtexte bis hin zur Herausgabe humorvoller Anthologien. Auch im Rundfunk und in der Werbebranche war er aktiv und konnte bald von seiner freien Autorentätigkeit gut leben, schreibt Wolf. D. Hartmann im Vorwort. Daher konnte er sich auch 1927 das große Grundstück im „Pieskower Forst“ leisten und darauf seinen „Hofstetterhof“ bauen. Er führte dort mit seiner Frau ein gastliches Haus, gründete mit ihr eine Versand-Bibliotheksgemeinschaft und eine Fono-Museum, sammelte Schallplatten und verfasste populäre medizinische Vorträge und Broschüren mit seinem Freund und Nachbarn  Dr. Georg Zehnden im Rundfunk.

Hochstetter fasste  in der neuen Umgebung am Scharmützelsee schnell Fuß, wie auch die Initiative Jüdische Spuren in Bad Saarow nachwies.

In seinem Haus in Pieskow lebte Hochstetter mit seiner Familie, während er in Berlin arbeitete. Er schwärmte  gegenüber Walter Trier vom „Duft der Kiefern und der frischen Brise des Sees sowie der unvergleichlichen Atemlurt“  und übersah offenbar die aufziehenden dunklen Wolken der kommenden Nazidiktatur. Doch schon bald sollte es mit der Herrlichkeit und Unbeschwertheit vorbei sein.

In Folge der Weltwirtschaftskrise musste er 1931 einen Teil seines Anwesens am Scharmützelsee veräußern.

Mit der Machtergreifung Hitlers begannen Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Schon im Mai 1933 erhielten alle “ jüdisch- bolschewistischen“ Autoren Schreib- und Publikationsverbot. Ihre Werke wurden  öffentlich verbrannt. Nach den Nürnberger „Rassegesetzen“ von 1935 mussten er und seine Tochter Elisabeth, obwohl evangelisch getauft, ihre zweiten Vornamen in Israel und Sahra ändern. Die drohende Lebensgefahr, in der er und seine Familie ab der Pogromnacht am 9. November 1938 auch in Bad Saarow schwebten, unterschätzte er wohl, wie er an seinen Freund Walter Trier schrieb: „Die Nazis kommen und gehen  (…) lieber WalterTrier, warten wir es ab.“ ( zitiert aus dem Vorwort Gustav Hochstetter  – Ein Humoristenleben“ (Brandenburgischer Akademieverlag, S. 30 u.a.; 2024)

Passend zu dieser Naivität misslang ein späterer Ausreiseversuch, der den Hochstetters zudem eine hohe Geldstrafe in Form einer „Kontributionsabgabe“ in Höhe von rd. 30.000 Reichsmark auferlegte. Seit 3. Dez. 1938  galt die Verordnung über den Einziehung jüdischen Vermögens“ , einschließlich Unternehmen  sowie Haus- und Grundbesitz. Hochstetter konnte dem nur entgehen, indem er Haus und Grundstück seiner nicht-jüdischen Frau überschrieb. Das bewahrte Ihn und seine Tochter jedoch nicht vor der Deportation aller Juden und derer, die man dazu erklärte, in die Vernichtungslager. Hochstetter musste sich im Jahr 1942, 69jährig,  in das als „Altenheim“ getarnte Arbeitslager Radinkendof bei Beeskow und anschließend ins Ghetto Theresienstadt „einkaufen“, wo er am 26. Juli 1944 verstarb. In den Akten des Museum Fürstenwalde finden sich dazu Briefe und Zeitdokumente, die schaudern lassen, schreibt Wolf. D. Hartmann. Hochstetters Tochter Elisabeth, ebenfalls deportiert , ist vermutlich im Konzentrationslager Minsk in Weißrußland ermordet worden.

Ungebrochen hat aber Gustav Hochstetter auch im Konzentrationslager weiter geschrieben und Vorträge für seine Mitgefangenen gehalten, um sie mit seinem Humor am Leben zu erhalten. Es soll sogar ein Romanfragment geben, das aber noch nicht gefunden wurde.

 

Der Zufriedene

von Gustav Hochstetter

Ihr seid so rührend traurig, Leut´;

Wenn doch auch ich das könnt´!

Ich habe für die Traurigkeit

nun einmal kein Talent.

 

Weiß selber nicht, woran das liegt.

Ich schaff den ganzen Tag.

Und bin beim Schaffen still vergnügt –

Was immer kommen mag!

 

Gar viel erzieh ich an mir rum,

Ich schimpf mich aus  . . . und so.

Hilft nichts! Ich bleibe froh und dumm,

Ich bleibe dumm und froh.

 

Ja, ja ich weiß die Heiterkeit

Und das Zufriedensein –

Das paßt in uns´re triste Zeit,

Weiß Kuckuck ! nicht hinein.

 

Doch manchmal kommt´s mir in den Sinn;

Ob´s nicht auch anders ist? :

Wenns Viele gäb´

wie ich halt bin,

Dann wär die Welt nicht trist!

Vereinsvorsitzende Vera Jaspers begrüßt die zahlreichen Gäste am 8. November im Scharwenkahaus