Liebes Lucindchen, liebe Isi, liebe Zeni,
so nannte Xaver Scharwenka seine Töchter in den vielen Briefen, die der Nachwelt erhalten geblieben sind. Liebevoll, zugewandt, interessiert an schöner Natur und gutem Essen, plaudrig und witzig, konnten die Zuhörer dieser außergewöhnlichen Veranstaltung im 1. Stock des Scharwenka Hauses den ehemaligen Hausherren erleben. Sein Urgroßneffe Wolfgang Scharwenka saß an Xavers Schreibtisch und las etliche der vorhandenen Briefe vor, die er mit einer interessierten Seniorengruppe in seinem Heimatort Gundelfingen transkribiert hatte. Denn die meisten Briefe waren in der damalig verwendeten Kurrentschrift verfasst.
Die Gäste hörten, was er auf Postkarten aus Leipzig, Bremerhaven, Lausanne, Samter (Polen, seinem Geburtsort) zu berichten hatte, Briefe vom Hardin College in Mexico Missouri, New York, Chicago und mehr.
Als er 1897 wieder einmal mit dem Steamer „Havel“ aus Bremerhaven aus in die USA startet, schreibt er an seine Tochter:
Liebe Isolde,
du kleine Holde,
scheiden tut weh,
ach herrjeh!
Gruß und Kuss von Papchen
Seine Reisetätigkeit war für die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts absolut ungewöhnlich, er reiste quer durch Europa, 28mal über den Atlantik und gastierte in vielen amerikanischen Städten. Das spiegelt sich in seinen Briefen und Karten wider, die er aus den entsprechenden Städten schickte. Seine Familie und Korrespondenzpartner wussten genau, in welchem Hotel er sich demnächst aufhielt und wohin der nächste Brief geschickt werden musste, damit er ihn erreichte. Die Post war damals wohl sehr zuverlässig, soweit sich das heute nachvollziehen lässt.
Je länger sich Xaver Scharwenka in den USA aufhielt, desto mehr englische Idiome enthielten seine Briefe und desto mehr kam sein Sprachwitz raus.
Aus seinem Briefwechsel mit Brahms, den er in Sassnitz bei einem Spaziergang kennengelernt hatte und sehr mochte, wurde ebenfalls gelesen. Um Musik ging es in den Briefen, die erhalten sind, selten, die spielte er einfach. War er doch ein sehr talentierter Komponist und Pianist der Spätromantik, dazu auch noch ein guter Kaufmann, der auch Geld zu verdienen wusste. Über seine Komponier- und Konzerttätigkeit hinaus war er für etliche andere Tätigkeiten verpflichtet, so als Kantor der größten jüdischen Synagoge in New York, wie es seiner Ehefrau Zenaide in einem Brief stolz mitteilte. Dass seine 1,3 Millionen Mal verkauften Polnischen Tänze ihm keinen Cent einbrachten, hat er nicht nur einmal bedauert (aufgrund dieser Erfahrung war er ein Pionier des Urheberrechts in Europa, Anm. der Verf.). Gleichzeitig war er auch sehr großzügig, mindestens seinen Kindern gegenüber.
Zum Schluss wurden einige Briefe vorgestellt, die von Frau Wegewitz aus Fürstenwalde transkribiert worden waren und in denen es um sein Leben in Bad Saarow ging. Mit Leidenschaft erzählt er von dem großen Grundstück, das sich – großzügig angelegt – mit einer großen Obstplantage, Erdbeeren und Gemüse, in seinen Augen zu einem „süßen Paradies“ entwickelte.
Prof. Koch gab eine kleine Einführung zur historischen Einordnung, ergänzte hin- und wieder die Ausführungen von Herrn Scharwenka. Damit rundete sich das Bild wunderbar ab.
Es war ein sehr bereichernder Nachmittag, der viele Facetten des Hausherren Xaver Scharwenka zeigt, die Gäste genossen es sehr. Und sein Nachfahre Wolfgang Scharwenka ließ erkennen, dass er aus der gleichen Familie stammt: Plaudrig und witzig bot er kurzweilige Unterhaltung.